Verborgenes aufgedeckt

Sonderausstellung 2022

In der Stadtbücherei Pfullingen vom 21. September 2022 bis 28. Januar 2023
„Verborgenes aufgedeckt“

Spuren in der Landschaft Pfullingen und Eningen unter Achalm – Landschaft als Spiegel der Gesellschaft

Wo Landschaft, einer der zentralen Begriffe der Geographie, im sichtbaren Maße durch Menschen,
Gesellschaften und Kulturen aktiv gestaltet und genutzt wurde, spricht man von Kulturlandschaft. Im
Umkehrschluss erlaubt die Ausgestaltung der Kulturlandschaft die Rekonstruktion (früherer)
gesellschaftlicher und sozial-ökonomischer Dynamik: Landschaft wird zum Spiegel der Gesellschaft,
regionale Besonderheiten und örtliche Eigenheiten sind ablesbar.

Historische Kulturlandschaftsforschung beschäftigt sich mit der Landschaft und sieht die darin
enthaltenen Relikte als Quellen, gleichermaßen als originäres Geschichtsbuch. Die Besonderheit und
Schwierigkeit dieses ‚Landschaftsbuches‘ besteht aber darin, dass viele Geschichten auf nur einer
Seite, der Landschaft eben, über- und nebeneinander geschrieben sind. In der Urkundenforschung
wird für ein antikes oder mittelalterliches Schriftstück, das wiederholt verändert und neu
beschrieben worden ist, der Begriff Palimpsest verwendet. Unter den zuletzt aufgetragenen Zeilen
schimmern hier frühere Einträge noch durch. Diese älteren „Einträge“ (Nutzungen) gilt es in der
historischen Kulturlandschaftsforschung zu finden: seien es durch andauernde Bewirtschaftung
überformte Ackerspuren, verflachte Weinbergstufen, verfüllte Steingruben und sogar
Bohnerzgruben, komplexe Wässerwiesensysteme, Überreste intensivster Beweidungsflächen in
Feldflur und Wald, historischer Streuobstanbau auf vormaligen Weinbergen, einstige Arten des
Waldbaus, kaum noch erkennbare Anlage von Alleen und, allem voran, die ehemaligen oft extrem
mühsam zu erklimmenden Wirtschaftswege am Albtrauf.

Verborgene Spuren aufgedeckt

Die aktuelle Ausstellung des Geschichtsvereins Pfullingen nimmt genau diese verborgenen Spuren
unter die Lupe und deckt sie mithilfe der Wissenschaftler Prof. Dr. Hans-Joachim Rosner und Dr.
Christoph Morrissey am Geographischen Institut der Universität Tübingen auf. Es handelt sich um die
verbliebenen, noch sichtbaren Elemente historischer, teilweise über Jahrhunderte von unseren
Vorfahren angewandter Landnutzungen. Nach einem ausgeklügelten System von Luftbildauswertung,
Auswertung von Fernerkundungsdaten, insbesondere Laserscanning-Daten (LIDAR), digitaler
Erfassung im geographischen Informationssystem (GIS) und schließlich persönlicher Überprüfung vor
Ort, Klassifizierung und Dokumentation per Foto, wurde über die Jahre 2019 bis 2021 ein
umfassendes Werk zusammengetragen. Die Ergebnisse dieser Arbeit, beauftragt und unterstützt
vom Geschichtsverein, gefördert vom Biosphärengebiet Schwäbische Alb, werden nun im nächsten
Schritt der Öffentlichkeit verständlich zur Verfügung gestellt. Begonnen wird mit dieser Ausstellung
mit Begleitprogramm, eine Veröffentlichung als Beitrag zur Pfullinger Geschichte soll unmittelbar
folgen. Konzipiert als Wanderausstellung soll sie auch in Schule und Studium einsetzbar sein.
Die Arbeit hat den Anspruch, einen möglichst vollständigen Überblick zu geben. Etliche dieser Spuren
und Relikte in der Landschaft hat man möglicherweise schon einmal gesehen, vielleicht, oder
wahrscheinlich sogar übersehen. „Man sieht nur, was man weiß“, bemerkte Johann Wolfgang von
Goethe. Um hier die Augen zu öffnen, Verständnis und Hintergrundwissen zu schaffen, werden für
die Dauer der Ausstellung regelmäßig „verborgene Spuren aufgedeckt“ und in den lokalen und
sozialen Medien, der Homepage des Geschichtsvereins und auf kostenlosen Loseblättern in der
Ausstellung als Themen genauer präsentiert. Geplant sind zusätzliche Gesprächsrunden mit
„Zeitzeugen“, soweit noch möglich, Führungen, Veranstaltungen. Der Geschichtsverein freut sich
natürlich über alle Hinweise zu verborgenen Elementen, die sogar dieser Arbeit verborgen blieben.
Das ist ein Aufruf: Alle sind aufgefordert, uns Hinweise und Entdeckungen mitzuteilen.

Wandel der Landnutzungen

Und noch etwas ist sehr spannend: Das Thema Landnutzungswandel. Für das Projektgebiet wurden
flächendeckende, verlässliche Daten zur Veränderung der Landnutzung über den Zeitraum von etwa
200 Jahren erhoben. Als Quellen hierfür kamen ausschließlich Kartenwerke in Betracht. Sie stellen
die wichtigste historisch-geographische Quellengruppe dar. Ausgewertet wurden die Flurkarten ab
etwa 1820 im Maßstab 1 : 2.500 und die ab etwa 1908 vorliegenden, auf der württembergischen
topographischen Landesaufnahme beruhenden Topographischen Karten im Maßstab 1 : 25.000. Für
das Projekt wurden drei Zeitschnitte erhoben: um 1830, um 1908 und um 2020. Die Veränderungen
sind sehr beeindruckend. Parallel werden Informationen zur Geschichte, zur Kartographie und
modernsten Analyse-Methoden gegeben.

Neben den wissenschaftlichen Auswertungen werden in Ergänzung zur kürzlich erschienenen
Neuauflage des Pfullinger Flurnamenbuches von Dipl.-Geograph Oliver Meiser auch die Flur- bzw.
Gewannnamen auf Pfullinger und Eninger Gemarkung kartographisch präsentiert.

Schutzgebiete

Die Bedeutung dieser historischen Nutzungsarten dokumentiert sich in dem ausgeprägten
Schutzgebietssystem das Pfullingen und Eningen unter Achalm umgibt. Die Ausstellung gibt einen
aktuellen Überblick aller Schutzgebiete und stellt den Zusammenhang zur Landnutzung her. Die
Thematik der Biologischen Vielfalt geht einher mit der Vielfalt der Kulturlandschaft, originäre
Themen des Biosphärengebiets Schwäbische Alb.

Die Vernissage der Ausstellung beginnt mit einem Grußwort von Bürgermeister Stefan Wörner. Die
Einführung sprechen Prof. Waltraud Pustal, Vorsitzende des Pfullinger Geschichtsvereins und Dr.
Christoph Morrissey. Das Begleitprogramm umfasst Führungen und Veranstaltungen, die rechtzeitig
bekannt gegeben werden. Führungen für Schulklassen und Gruppen sind möglich.

Ort und Öffnungszeiten

Stadtbücherei Pfullingen, Passy-Platz 1, 72793 Pfullingen, Tel. (07121) 70304200. Dienstag und
Donnerstag von 14:00 – 18:30 Uhr, Mittwoch und Freitag von 9:00 – 12:00 und 14:00 bis 17:30 Uhr,
Samstag von 10:00 – 12:00 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Prof. Waltraud Pustal
Vorsitzende Geschichtsverein Pfullingen e. V.

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